Dr. Utz Jürgen Schneider



Jürgen Schneider im Jahr 1993 in Barthels Hof.
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Dr. Utz Jürgen Schneider

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Nachdenken über Jürgen S.
oder: Die unendliche Schneidergeschichte


Ghostwriter der Schneider-Autobiografie 
"Bekenntnisse eines Baulöwen"


"Neue Vorwürfe gegen Schneider!" Was immer da dran sein mag - jüngste Sensationsmeldungen zum Fall Schneider zeigen vor allem eins: Der Mann ist nach wie vor schlagzeilentauglich - Jahre nach spektakulärer Flucht und Prozess. Kaum eine Woche in den vergangenen zwei Jahren, ohne dass nicht zumindest sein Name in einer überregionalen Zeitung stand. "Hereinspaziert, wenn´s kein Schneider ist" wurde zur stehenden Redewendung in Bankerkreisen, die "Peanuts" des Herrn Kopper sind fast schon dudenreif. In Leipzig, der Hauptstätte seines Wirkens, entstand eine Art Personenkult um ihn, regelmäßig gibt es Führungen zu seinen ehemaligen Objekten in der historischen Innenstadt, Gerüchten zufolge soll sogar ein Denkmal zu seinen Ehren errichtet werden.
Offenbar ticken die Uhren des Vergessens beim Schneider-Skandal langsamer. "Wie schon damals im Fall Schneider" hieß ein Standardkommentar zu zahlreichen Skandalen, die seitdem die deutsche Bank- und Bauwirtschaft erschütterten. Tatsächlich verbinden den Fall Schneider, den Skandal um die bayrische LWS, wegen dem Justizminister Sauer seinen Stuhl  räumen musste, den Skandal um die "plötzlich entdeckten" Milliardenlöcher der Hypobank und jüngst die Krise bei Holzmann ein gemeinsames Spekulationsproblem. In allen Fällen waren es verlustreiche Immobiliengeschäfte, die Firmenbilanzen ins trudeln brachten. Ende der achtziger Jahre gab es nämlich eine Immobilienhausse ohnegleichen, die durch die Wiedervereinigung noch angeheizt wurde, um dann in eine Baisse abzugleiten, deren Talsohle analytischen Optimisten zufolge mittelerweile erreicht worden sein soll - allerdings um den Preis von 30-50 prozentigen Wertverlusten bei Gewerbeimmobilien. Da es die nach dem weitverbreiteten Vorurteil, wonach Immobilien solide Werte seinen, eigentlich gar nicht geben dürfte, wird von Insiderkreisen gerne der Mantel des Schweigens darüber gedeckt. Den Ernst der Lage bekannte dennoch Ende 1998 Wolfgang Rupf, Chef der Bankgesellschaft Berlin, in der Wirtschaftswoche. "Wenn alle deutschen Banken ihre Immobilien nach derzeitigem Liquidationserlös bilanzieren würden, dann gäbe es keine einzige Bank mehr." Soweit zur Aktualität der wirtschaftlichen Hintergründe. Schneider spielte ein Spiel, das viele spielen, und er hat Pech gehabt. Pleiten lassen sich auch hinter den Kulissen abwickeln.
Seine persönliche Prominenz beruht zum einen auf Superlativen: Größter deutscher Bauherr, größter privater Kreditnehmer, größter Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit. Ausschlaggebend für die unendliche Mediengeschichte ist aber das Schillern der Person, die Schwierigkeit, sie in eine bekannte Schublade zu stecken, und die Tatsache, dass sich an Schneider die Geister scheiden. Für die einen ist er eine Art Robin Hood, der Milliarden, die sonst in elektronischen Bankbilanzen unsichtbar geblieben wären, zum Wohle des deutschen Stadtbilds einsetzte, für die anderen ist er ein betrügerischer Pleitier, der mit Raffinesse und auf Kosten unschuldiger Handwerker Schwächen des Banksystems ausnutzte. Wo die Fakten unklar sind, blühen die Projektionen. Offensichtlich ist, dass Schneider nicht in das Klischee vom gemeinen Abzocker passt, der um des schnellen Geldes willen krumme Geschäfte macht. 
Sein Richter Gehrke benannte strafmindernd neben der geringen kriminellen Intensität - mit Tipp-Ex und Bürokopierer als Tatwerkzeugen - dass er mit Hilfe der Kreditmilliarden keineswegs ein ausschweifendes Leben geführt, keine Rennpferdställe, Auslandsvillen und dergleichen mehr besessen habe, sondern vielmehr besessen gewesen sei, nämlich von einer Idee - der Idee einer besseren Stadt. Diese Vision, durch eine gehörige Portion Eitelkeit beflügelt, habe ihn voll und ganz erfüllt und zu seinen guten wie schlechten Taten getrieben.
Im Prozess blieben aus taktischen Erwägungen viele Fragen offen - z.B. die, ob die zivilrechtliche Konkurserklärung Schneiders ohne Prüfung eigentlich rechtens war. Auch wenn mit Billigung aller Prozessbeteiligten nicht geklärt wurde, inwieweit die Banken Mitschuld statt, wie im Uteil festgehalten, nur Mitverantwortung an dem Desaster traf, dämmerte es plötzlich dem geplagten Kleinkreditnehmer, dass eine Bank bei mehrstelligen Millionenkrediten 
offenbar alll die Sorgfalt vermissen lässt, die man bis zur Geschäftsschädigung an ihn verwendet.
Mittlerweile hat man sich ja an die Erkenntnis gewöhnt, dass Kriminalität auch in den höchsten Konzernspitzen nistet, aber durch den Fall Schneider war, wie Vorstandssprecher Christians vor dem Prozess bekannte, der Lack ab an der schönen Bankfassade. Stattdessen regte sich öffentliche Schadenfreude, dass Angehörige der deutschen Bankelite zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte vor Gericht antanzen und kleinlaut Farbe bekennen mussten, vor lauter Blendung durch den schönen Schein, den Schneider mit lausbübischer 
Freude inszenierte, es mit der Kontrolle nicht so genau genommen und erst, als es zu spät war, begriffen zu haben, dass Schneider ihnen nur ihr eigenes Geld gezeigt hatte. Die Virtuosität, mit der er seine Kundenmacht auszuspielen wusste, verwandelte ihn für die große Masse der Ohnmächtigen in einen mythischen Superhelden - ein halbes Fabelwesen. Endlich hatte mal einer den Spieß umgedreht und die Banken über den Tisch gezogen! Ein weitverbreitetes und kaum artikuliertes Unbehagen an der Bankenmacht nährt bis heute einen Gutteil der Schneidersympathien. Umgekehrt verübeln ihm seine Feinde vermutlich die blasphemische Schändung der quasi heiligen Bankautorität am meisten.
Die Geschichte der abenteuerlichen Flucht, die einen weltweiten Wettbewerb um die fetteste Zeitungsente auslöste, verstärkte den Schneidermythos erst recht: Im Sommer 1994 wurde er fast gleichzeitig auf allen möglichen Teilen der Welt geortet, in London beim Geldabheben, in Teheran bei Bautätigkeiten, in Kalkutta bei einer Notoperation, im Lockentoupet auf einer einsamen Farm in Feuerland. Mit der Verhaftung nahm die Biografie einen weiteren Extremverlauf: Vom Milliardär im Taunusschlößchen zum Flüchtling, den die ganze Welt sucht, vom Flüchtling zum einfachen Knacki unter Miamis Straßendealern - welch eine enorme Fallhöhe! Und nun war er dort angelangt, wo die meisten sich wähnen: er war Verlierer. Bei aller Häme, die die Medien über ihn ausschütteten, wuchs dennoch im Verborgenen das Identifikationspotential. Nun war er einer der vielen, die das Gefühl kennen: Es hätte ja auch klappen können - hat es nur nicht.
Im Prozess kam dann der Mensch Schneider noch besser zum Vorschein: Wie er sich noch zögerlich zu seiner Schuld bekannte, wie er schluchzend vor dem Richter bekannte, sein größter Wunsch sei es, wieder in die menschliche Gesellschaft aufgenommen zu werden, wie er bei der BKA-Vernehmung sich nicht scheute, seine Häuser als Zeugen dafür aufzurufen, dass er ohne böse Absicht gehandelt habe, und nicht zuletzt die zärtlichen Gesten zwischen ihm und seiner Frau, die auch in schlimmsten Zeiten zu ihm hielt - all das wirkte glaubwürdig und rührte manches Herz. Und das weiche Gesicht, der Schalk in den Augen: So sieht kein Bösewicht aus. Ein Baumensch, der die Sprache des einfachen Mannes spricht, kein Intellektueller und doch begabt mit einer Ader von frechem Witz, aber auch einer, der eigene Verantwortung übernimmt, während seiner Haft ohne Murren sühnt und statt Verbitterung seinem geschäftlichen Scheitern eine menschliche Entwicklungschance abgewinnt - so eine Mischung ist selten und erzeugt Respekt, zumal unter gestrauchelten Managern seinesgleichen mangelndes Schuldbewußtsein die Regel ist.
Plötzlich mutierte der ehemalige Baukönig bei seinen stillen Sympathisanten zum kleinen David, der sich erst wacker gegen den großen Goliath schlug und schließlich doch die Prügel kassierte. Damit wurde er zum doppelten Helden: Er war einer, der etwas geschafft hatte, wovon alle träumen, und er erlebte das, was die meisten Träumer und alle tragischen Helden erleben: Sie erwachen im Scheitern. Zugleich "einer von denen" und "einer von uns" zu sein, birgt ein gewaltiges Popularitätspotential, das sogar in Zeiten des allmächtigen Medienalzheimers ungewöhnliche Erinnerungskräfte mobilisiert.
Vielleicht gewinnen wir auf diese Weise einen Volkshelden, wie ihn die deutsche Geschichte schon lange nicht mehr gesehen hat, in der Tradition des Hauptmanns von Köpenick und Eulenspiegels, die zu ihrer Zeit dem herrschenden System den Spiegel vorzuhalten wußten.

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