Dr. Utz Jürgen Schneider

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© Frankfurter Allgemeine (FAZ.NET) - 09. Juni 2009

Im Gespräch: „Baulöwe“ Jürgen Schneider

„Zu entschuldigen ist das gar nicht“

Ihm verdankt Frankfurt die Zeilgalerie und die Schiller-Passage. Heute lebt er im Taunus und bei Bonn. Der alte Workaholic ist Jürgen Schneider nicht mehr. Im folgenden Interview spricht er unter anderem über sein Buch, seine Zeit im Gefängnis, Absprachen mit Baukonzernen beim Bau des Bundeskriminalamts und teure Uhren.

Werden Sie auf der Straße noch erkannt?

Oh ja, vor allem in Leipzig. Wenn ich da durch die Grimmaische Straße gehe, da werde ich bestimmt 25 Mal angesprochen. Die freuen sich alle.

Denken Sie gelegentlich noch an Karben?

Natürlich, da habe ich meine Zeit als Freigänger in der Schreinerei Kunz verbracht.

Sie haben da in der Buchhaltung gearbeitet?

Ehrlich gesagt, habe ich dort vor allem an meinem Buch „Bekenntnisse eines Baulöwen“ gearbeitet.

War das Werk ein Erfolg?

Es lief ganz ordentlich, es ist wohl vor allem von den Banken aufgekauft worden.

Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis in Preungesheim empfunden?

Das ist natürlich eine furchtbare Sache, im Gefängnis zu sitzen. Auch wenn man dann endlich herauskommt, ist man verunsichert. Ich traute mich beispielsweise anfangs gar nicht, Auto zu fahren. Ich bin aber von den Mitgefangenen immer mit Achtung behandelt worden. Ich hab’ da auch vielen geholfen. Wissen Sie, ich komme vom Bau, da kann man mit Menschen umgehen.

Wie kommt man im Gefängnis in Kontakt?

Na, Sie haben dauernd Kontakt – beim Essenholen, beim Rundgang, das fängt bei der Gemeinschaftsdusche an.

Ist das nicht unangenehm?

Am Anfang ja, aber da gewöhnt man sich schnell dran. Ich bin ja auch nicht pingelig. Ich bin knallhart erzogen worden von meinem Vater.

Sie galten als Workaholic.

Absolut richtig.

Aber wie ist das dann im Gefängnis, wenn man nicht arbeiten kann?

Aber ich habe ja gearbeitet. Bei mir in der Zelle stapelten sich die Akten bis an die Decke, die ich zu meiner Verteidigung durchgesehen habe. Ich habe mir Wagenladungen von Akten kommen lassen.

Und haben Sie da auch viel über Ihr Leben nachgedacht?

Aber ununterbrochen.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Dass ich einen Berg voller Fehler hinterlassen habe. Manches war toll. Die beste Entscheidung meines Lebens war die für meine Frau. Den richtigen Beruf habe ich auch ergriffen. Positiv war ebenfalls, dass ich meine Bauvisionen ausleben konnte. Falsch war, dass ich zu viel gewollt habe. Dass ich mich total verspekuliert habe.

Hat Sie eigentlich niemand gewarnt?

Doch, meine Frau. Aber ich habe damals gesagt: Die Wiedervereinigung ist eine historische Chance, wir wissen nicht, wie es ausgeht, aber ich setze auf blühende Landschaften! Und was man damals alles bauen konnte, vor allem in Leipzig! Die Banken sind mir gefolgt, was mich auch weiter verführt hat, dort zu investieren. Von den Banken hätte eigentlich der Rat kommen müssen, kürzerzutreten.

Irgendwann haben Sie dann angefangen, Unterlagen zu frisieren.

Ich habe, als ich noch selbst Bauunternehmer war – wie alle Baufirmen –, Unterlagen frisiert, das ist richtig. Wir haben damals mit Hochtief, mit Holzmann sogar den Bau des Bundeskriminalamts abgesprochen, inzwischen kann ich ja darüber reden, es ist verjährt. Wir haben die Bauherren bei der Abrechnung richtig reingelegt, das ist beim Bau so. Ich berate heute ja in umgekehrter Richtung Leute, die von Baufirmen hereingelegt werden und schaue mir sehr gründlich deren Rechnungen oder Kostenvoranschläge an.

Gibt es überhaupt keine anständigen Bauunternehmer?

Ich kann nur sagen: Ein Heiligenschein passt nicht zum Bau. Alle haben betrogen, ausnahmslos alle. Schon aufgrund des mörderischen Wettbewerbs in dieser Branche. Den die meisten ja auch nicht überstanden haben.

Aber der Umstand, dass andere sich fehlverhalten, ist ja noch keine Entschuldigung.

Zu entschuldigen ist das gar nicht, Punkt. Ich bin schuldig. Das habe ich auch vor Gericht gesagt.

Dann erklären Sie uns doch einmal den Mechanismus Ihres Verhaltens, das mit einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten endete.

Also, das ist im Prinzip einfach. Jeder, der bauen will, braucht Geld. Damit ihm die Banken dieses Geld geben, rechnet er sein Objekt größer, als es ist. Je größer, desto mehr Geld bekommt er.

Wie in der Zeilgalerie?

Genau. Die Bewertung der Nettogrundrissfläche in der Zeilgalerie waren genau 20.000 Quadratmeter. Keller, Untergeschoss, Lager, Flächen für die Lastwagen, Toiletten, Gänge, Passagen, die Terrasse oben – diese Flächen gehören alle in die Nettogrundrissfläche. Aber die reine Nutzfläche, also die netto vermietbare Fläche in den Läden, betrug nur 9000 Quadratmeter.

Aber die Banken haben Ihnen Geld geliehen, als hätten Sie 20.000 Quadratmeter vermieten können.

Richtig. Und den Mietsatz habe ich nicht mit 9000, sondern mit 20.000 multipliziert. Da kam also auf dem Papier eine Riesenmiete raus. Und dafür hat mir die Deutsche Bank 450 Millionen DM geliehen. Und die Bank hat den Wert des Objekts auf eine Milliarde DM hochgerechnet, so dass der Kredit schön in den Deckungsstock passte. Denn so war es ja nur zu 45 Prozent beliehen.

Und dann?

Dann war der Bau fertig, ich hatte alle Läden vermietet, aber die Einnahmen reichten natürlich nicht. Da war das Desaster da.

Und dann haben Sie Mietverträge gefälscht.

Genau. Ich hatte 28 Mieter, und ich habe weitere 32 Verträge gefälscht. Ich habe Normmietverträge genommen, die Mieter erfunden und alle persönlich mit der Schreibmaschine ausgefüllt, die sahen praktisch alle gleich aus. Wie ein Ei dem anderen, was bei so einem komplexen Einkaufszentrum in der Praxis völlig unrealistisch ist und jedem Profi sofort auffällt. Ich hatte also plötzlich nicht 28, sondern 60 Mieter und kam auf die vorgesehene Gesamtmiete, die die Bank brauchte. Die neuen Veträge habe ich als Vermieter mit meiner richtigen Unterschrift unterschrieben und die anderen Unterschriften gefälscht.

Das fiel der Bank nicht auf?

Ein Profi, der das sieht, dem müsste das auffallen. Als die Deutsche Bank diese Mietverträge haben wollte, sagte ich: Nee, die gebe ich nicht heraus, Sie müssen zu mir kommen. Dann kamen die Banker zu mir in die Villa Andreae nach Königstein. Als die Banker ankamen, waren sie ganz blass. Diese Banker hatten ja alles genehmigt und den Bau über Jahre begleitet, und jetzt bangten sie um ihre Posten.

Und Sie hatten Bammel?

Ich war völlig ruhig. Denn ich wusste: Wir sitzen alle in einem Boot. Die Banker haben dann einen Vertrag nach dem anderen angeguckt, und ich merkte, wie ihnen ein Stein nach dem anderen vom Herzen fiel.

Hatten Sie den Eindruck, dass die Ihnen wirklich glaubten, oder dass sie nur beruhigt waren, um ihren Vorgesetzten bei der Bank sagen zu können: alles in Ordnung beim Schneider?

Die wussten alles. So dumm sind die Banker ja auch nicht. Die Diskrepanz war doch zu offensichtlich. Aber sie fühlten sich beruhigt und hofften wahrscheinlich darauf, dass diese Zeilgalerie schon ganz erfolgreich sein würde. Denn ich hatte dieses Projekt schließlich auch nicht in Angriff genommen, um mich zu ruinieren, ich wollte ja den Erfolg.

Von heute aus betrachtet: Haben Sie damals klug gehandelt, als Sie die Verträge fälschten?

Natürlich nicht. Es wäre klüger gewesen, sich mit der Bank zusammenzusetzen und zu sagen: Wir haben ein Problem, wie können wir es lösen?

Aber an einem bestimmten Zeitpunkt müssen Sie doch überlegt haben: Lasse ich jetzt die Hose herunter, oder fälsche ich? Was ging da in Ihnen vor?

Ich war von der Hoffnung bestimmt, dass ich es schaffen würde. Ich war überzeugt, dass ich das Objekt hochmanagen könnte, wenn man mir nur Zeit lassen würde. Es lag damals einfach eine den Bankern bekannte, extreme Überbewertung vor. Heute in der Finanzkrise haben wir bei den Banken selbst die gleiche Überbewertung bei den Finanztiteln – auch hier eine gefährliche Spekulation mit der Zukunft.

Sie erwähnten gerade die Banker, die zu Ihnen nach Königstein kommen mussten. Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Besucher aus den Banken in der Villa Andreae grundsätzlich erst einmal haben warten lassen?

Natürlich. Wissen Sie, wenn man so wie ich in den Anfangsjahren sich bei den Banken die Hacken abgelaufen hat, wenn man ewig warten musste, bis man vorgelassen wurde und dann meist von oben herab behandelt wurde – das merkt man sich. Und ich bin nie mehr in eine Bank gegangen, nie mehr wieder. Die mussten alle zu mir kommen, und ich habe sie erst mal warten lassen.

Sie wurden nach Ihren Anfangserfolgen von den Banken hofiert, das haben Sie auch genossen?

Das können Sie aber glauben. Ich bin eben auch ein eitler Mensch.

Wie war damals in dieser Erfolgsphase, als Ihre ersten Objekte – in Nürnberg, in Baden-Baden, in Frankfurt – prächtig ausgefallen waren, als die Banken Ihnen Geld geradezu aufdrängten, Ihr Lebensgefühl?

Prächtig. Ich lebte für meine Bauten. Ich bin ein Qualitätsfreak, die Arbeit an den denkmalgeschützten Häusern machte ungeheuren Spaß. Ich spielte nicht Golf, ich hatte kein Segelschiff, ich habe einfach nur mit Hingabe gearbeitet. Das Schloss, die Villa Andreae, war übrigens nur Mittel zum Zweck, zur Selbstdarstellung, um den Banken zu imponieren und als Muster für das, was man mit historischen Bauten machen kann. Gewohnt haben wir nicht darin.

Nicht nur Banker wurden von Ihnen eine Zeitlang schlecht behandelt, sondern auch Handwerker.

Das stimmt so nicht. Ich wusste nur sehr genau, wie Handwerker ihre Rechnungen schreiben. Ich kannte die Schliche in jedem Gewerk. Und ich hatte eigens Leute dafür, die diese Tricks sehr, sehr, sehr genau überprüften.

Wollen Sie sagen: Jeder Handwerker hat betrogen?

Nein, das kann man so nicht sagen. Wir haben keinen Handwerker übervorteilt, sondern haben einfach nur genau geprüft und sind notfalls vor den Schlichter gegangen.

Aber die Knebelung der Handwerker war schon Teil Ihres Geschäftsmodells?

Nur insofern, als ich selber früher Handwerker war, weil ich eben wusste, an welchen Stellen man aufpassen muss. Ich habe keinen Architekten prüfen lassen, der mal schnell die Häkchen macht, ich habe selber geprüft. Natürlich war ich ein unbequemer Bauherr, aber die Banken waren hochzufrieden mit mir, weil sie wussten: Der wird nicht beschissen.

Manche Handwerksfirmen haben nicht mehr für Sie gearbeitet.

Ja, eben. Weil die wussten, dass wir so genau prüfen. Das kannte ich früher als Bauunternehmer ja auch: Bei den Farbwerken zum Beispiel war nichts zu verdienen, weil die sich auskannten und gute Spezialisten hatten, die alles sehr genau prüften. Dank meines sehr umsichtigen Konkursverwalters Dr. Gerhard Walter ist entgegen aller Unkenrufe kein Handwerker originär an meinem Konkurs pleitegegangen, wie sich heute nachweisen lässt.

Herr Schneider, wir treffen uns hier auf dem Petersberg bei Königswinter, Sie leben hier in der Nähe.

Meine Heimat ist der Taunus, und wir sind sehr oft hier bei meiner Tochter in Bad Honnef.

Wie sieht ein normaler Tag bei Ihnen aus?

Wie bei anderen Leuten auch. Ich esse morgens meine Haferflocken, dann lese ich die Zeitung.

Welche?

Na, die Frankfurter Allgemeine, ich bin doch ein Hesse, ich bin doch aus Frankfurt. Dann bimmelt das Telefon, dann gehe ich meiner Arbeit nach. Der verrückte Workaholic von früher bin ich nicht mehr, das hat meine Frau mir untersagt. Und deshalb bin ich auch pumperlgesund. Damals hatte ich einen Blutdruck von 210, zu hohe Cholesterinwerte, das Herz war vergrößert, nachts habe ich schlecht geschlafen, nur noch geschwitzt. Heute schlafe ich gut, alle Werte sind in Ordnung.

Und welcher Beschäftigung gehen Sie dann im Lauf eines Tages nach?

Ich habe ja noch unglaublich viele Kontakte aus meiner früheren Tätigkeit. Und diese Leute kommen auf mich zu und holen meinen Rat ein. Ich bekomme viele Anrufe.

Wobei es ja gar nicht leicht ist, an Ihre Nummer zu kommen.

Eben, sonst wären es ja noch mehr Anrufe.

Und was machen Sie dann konkret für diese Anrufer?

Ich stelle zum Beispiel Kontakte her. Oder, wie erwähnt, prüfe ich im Auftrag von Bauherren, ob es bei ihren Projekten ordnungsgemäß zugeht. Ich berate Menschen, die geschäftlich in einer schwierigen Situation stecken und vielleicht von Insolvenz bedroht sind. Und ich bin natürlich in Sachen Denkmalschutz gefragt. Außerdem schreibe ich ein Buch mit dem Titel „Der Kredit-Knigge“.

Sie hatten vorhin auch Ihren inzwischen verstorbenen Vater und dessen strenge Erziehung erwähnt. Sie hatten kein gutes Verhältnis zu ihm?

Das ist so nicht richtig. Mein Vater hat mich sehr, sehr streng erzogen, das hat mir als Kind und als jungem Mann nicht gefallen. Die anderen bekamen Taschengeld, ich musste es verdienen. Die anderen bekamen ein Fahrrad, ich ein abgelegtes vom Vater, das ich erst reparieren musste. Mein Zimmer war so groß wie später meine Gefängniszelle. Also, ich bin hart erzogen worden, aber das hat der Vater richtig gemacht, das merkt man erst später. Der hatte mich nämlich erkannt. Ich hatte eine sehr warmherzige, herzensgute Mutter und habe viel von ihr in meinem Charakter. Und das hat er erkannt und hat gesagt: So kommt der Junge nicht durchs Leben. Er hat mich erzogen, wie der Alte Fritz von dessen Vater erzogen wurde: Ich wurde getrimmt, ich wurde geschlagen. Aber das hat mir gutgetan. Ich hätte die schweren Zeiten meines Lebens nie so durchgestanden ohne diese Erziehung. Ich habe später gesagt: Donnerwetter, schönen Dank. Mein Vater ist mein Vorbild in seiner Tüchtigkeit, seinem Fleiß und in seinem Durchsetzungsvermögen.

Eine weitere Leitfigur Ihres Lebens ist der Richter Heinrich Gehrke, der Sie verurteilt hat?

Ja. Der ist tough und klug und lässt sich von keinem etwas vormachen.

Wie geht es Ihnen heute materiell?

Ich kann da nicht klagen, weil ich eingebettet bin in altes Vermögen der Familie meiner Frau, mein Vater war auch kein armer Mann. Ich brauche auch keinen Luxus, mein Auto ist alt, ein A8, den ich vor neun Jahren gebraucht gekauft habe.

Eine schöne Uhr tragen Sie.

Die hat mir mein Schwiegersohn und meine Tochter geschenkt.

Dann scheint es denen gutzugehen.

Warum, ist die wertvoll?

Die ist ziemlich teuer.

Echt? Ich hab’ keine Ahnung von Uhren.

 

Die Fragen stellten Werner D’Inka und Peter Lückemeier.